Der neue Geschäftsleiter Jonathan Schönberger im Interview

Joni oder Jonathan – wie wirst du lieber angesprochen?

Puh. Da komme ich ins Überlegen… Mein Spitzname «Joni» begleitet mich schon seit meiner frühen Kindheit, daher habe ich mich mittlerweile schon sehr daran gewöhnt. Vorstellen tu’ ich mich gewöhnlich als «Jonathan». Aber um ehrlich zu sein: Joni oder Jonathan, das spielt für mich keine Rolle.

Nun denn, Joni, du liebst Musik, hast Architektur studiert und nun brennst du in Escholzmatt Schnaps. Wie geht denn das zusammen?

Da muss ich ein wenig ausholen. Es ist mir an dieser Stelle wichtig, auf den inhaltlichen Unterschied der beiden Wörter «Beruf» und «Berufung» hinzuweisen. Während das Wort „Beruf“ lediglich auf eine Tätigkeit verweist, der eine Person in erster Linie zur Sicherung der materiellen Bedürfnisse nachgeht, hat der Terminus «Berufung» eine geistige Dimension. Es geht hier – vereinfacht gesprochen – um etwas Anderes. Ich meine hiermit einen inneren Antrieb, der einen, wenn man sich denn leiten lässt, in eine gewisse Richtung führt. Für mich persönlich hat diese Richtung sehr viel mit menschlichen Emotionen zu tun. Ich möchte das kurz erklären:

Sowohl die Musik als auch die Architektur interessieren mich vorallem in dem Moment, in dem sie auf den Menschen wirken. Wenn ich nach einem Konzert Menschen mit Tränen in den Augen sehe, weiss ich: Jetzt habe ich etwas erreicht, etwas auf dieser Welt bewegt. Dasselbe gilt für die Architektur. Die Wirkung gebauter Räume kann für die menschliche Wahrnehmung überwältigend sein. Und nun zum Schnaps: Die gustatorische Ebene wird meiner Meinung nach in diesem Kontext häufig unterschätzt. Ich empfehle hier das Buch «Die futuristische Küche» von Filippo Marinetti. Der Autor zeigt darin wunderbar die gesellschaftlichen und auch die politischen Dimensionen der menschlichen Ernährung. Und da ist auch die Antwort zu deiner Frage begründet: Die drei angesprochenen Bereiche haben alle unmittelbar mit existenziell-menschlichen Bedürfnissen zu tun. Die Entscheidung, in Escholzmatt Schnaps zu brennen ist für mich also keineswegs eine Negation der Architektur oder der Musik. Ganz im Gegenteil: Alles hängt zusammen.

Wie hast du Alicia kennengelernt?

Das war am 31. Oktober 2014 in der Bar «Muschi Obermaier» in der Berliner Torstrasse. Eine typische Geschichte: Ich persönlich kann mit Halloween-Partys nicht besonders viel anfangen und hatte mich eigentlich auf einen gemütlichen Abend zu Hause eingestellt. Zum guten Glück liess ich mich dann von einem guten Freund zum Ausgang überreden. An diesem Abend lernte ich Alicia kennen. Sie war als Hexe verkleidet, aber eine sehr schöne Hexe!

Und wie lange dauerte es, bis ihr ein Paar wurdet?

Gegenfrage: Ab wann ist man denn eigentlich ein Paar?

Was hast du gedacht, als du erfahren hast, dass Alicias Familie eine der angesehensten Distillerien der Schweiz gehört?

Da dachte ich: Super, nie wieder minderwertigen Alkohol trinken!

Wie kam es, dass du nun im Familienbetrieb mitarbeitest?

Das war ein langer Prozess. Die absolute Leidenschaft und Begeisterung meiner Schwiegereltern hat mich einfach angesteckt. Zudem spürte ich in der Familie eine hohe Affinität für Gestaltung, Kunst und Design, was sich absolut mit meinen persönlichen Interessen deckt. Im Bereich Verpackungsdesign und Produktgestaltung sowie bei der Innovationskraft im Bereich Produktentwicklung gehört die Distillerie Studer seit Jahrzehnten zur weltweiten Avantgarde. Das zeigt – bei aller Tradition – eine sehr moderne Haltung, der ich mich sehr verbunden fühlte. Zudem ist es doch auch schön, wenn ein Familienbetrieb auch ein Familienbetrieb bleibt.

Wie sieht dein Aufgabengebiet aus, welche Verantwortlichkeiten hast du im Betrieb?

Ich versuche zunächst, möglichst viel vom Betrieb zu sehen und zu begreifen. Ich habe noch keine klaren Verantwortlichkeiten und befinde mich sozusagen in einer Testphase. Vieles ist neu für mich, einiges aber auch sehr vertraut. Generell sieht mein Aufgabenfeld also sehr vielfältig aus. Gestern war ich zum Beispiel den ganzen Tag bei uns in der Brennerei im Rahmen einer Whisky-Produktion tätig und morgen bin ich auf einer Gin-Messe in Wien. Durch diese unterschiedlichen Betätigungen werde ich im Laufe der Zeit immer vertrauter mit dem Betrieb. Mögliche zukünftige Verantwortlichkeiten werden sich dann mit der Zeit herauskristallisieren.

Ist es schwierig, sich in lange gewachsene Strukturen einzubringen?

Ja und Nein. Aus meiner Sicht ist es zunächst wichtig, sich den gewachsenen Strukturen unterzuordnen und deren Berechtigung zu verstehen. Im Falle der Distillerie Studer wachsen diese Strukturen schon seit dem Jahr 1883. Es hat sich also Vieles über Jahrzehnte bewährt. Das hat viele Vorteile. Es gibt zu Recht das Sprichwort: «Man muss das Rad nicht neu erfinden». Dennoch – so denke ich – ist Innovation nur möglich, wenn man wach bleibt und Bestehendes hinterfragt. Steve Jobs appellierte im Jahr 2005 bei einer Rede an der Stanford University an die Absolventen «Stay hungry, stay foolish!» Diese Aufforderung zur bedingungslosen Wachsamkeit kann ich ohne Abstriche nachvollziehen und sehe sie als Messlatte für mein eigenes Handeln.

Wie ist dein Verhältnis zu Alicia’s Eltern und ihrem Bruder Saverio?

Mein Verhältnis zu Alicias Eltern war von Anfang an sehr herzlich und offen. Ich durfte Käthi und Ivano als tolerante und umsichtige Menschen kennenlernen, die mich zu jeder Zeit wie einen selbstverständlichen Teil der Familie behandelten, und das, obwohl ich sicher nicht immer ein ganz einfacher Mensch bin. Die Mär von den sprichwörtlich bösen Schwiegereltern kann ich also in meinem Fall zum guten Glück absolut nicht nachvollziehen. Ganz im Gegenteil: Ich würde sagen, wir pflegen über die familiäre Bindung hinaus sogar ein ausgesprochen freundschaftliches Verhältnis! Dasselbe gilt natürlich für Alicias Bruder Saverio. Schon während meines Studiums in Berlin haben wir bei gegenseitigen Besuchen viel zusammen unternommen und konnten eine gegenseitige Freundschaft aufbauen.

Als kreativer und musisch veranlagter Mensch hast du sicher viele Ideen, die du gerne umsetzen willst – was dürfen wir von deiner Seite in Zukunft erwarten?

Wie zuvor schon angedeutet – für mich geht es im Moment in erster Linie darum, die bestehenden Strukturen zu begreifen. Das Handwerk der Destillation wird von den Menschen schon seit Jahrtausenden begangen und beständig weiterentwickelt. Das lässt sich nicht im Handumdrehen erlernen. Darüberhinaus bietet aber das wunderschöne Anwesen der Distillerie Studer natürlich mannigfaltige Möglichkeiten. Wenn es nach mir geht, müsste man diesen Ort vermehrt überraschend inszenieren. Gewisse Ideen habe ich da schon, aber die möchte ich noch für mich behalten.

Du bist in Bayern aufgewachsen und hast lange in Berlin gelebt. Hast du dich schon an die Schweizer Mentalität und an die neue Umgebung gewöhnen können?

Während meiner Zeit an der Universität der Künste in Berlin durfte ich über ein Jahr lang die Entwurfsklassen eines renommierten Schweizer Professors besuchen. Zudem habe ich eine Zeit lang in einem Schweizer Architekturbüro gearbeitet. Die Mentalität war mir also – natürlich auch durch die Familie – schon vor unserem Umzug bestens bekannt. Ich schätze die Verbindlichkeit und die Ordnung der Schweizer sehr. Die Mentalität kommt der bayerischen sehr nahe. Im Allgemeinen sind die Menschen sehr herzlich und zuvorkommend. Zusammen mit meiner Familie lebe ich nun seit einigen Monaten in Luzern, verbringe allerdings sehr viel Zeit in der Firma im Entlebuch. Was die neue Umgebung in Luzern, und vor allem die dortige Kulturszene angeht habe ich also sicherlich noch Nachholbedarf.

Wie waren die ersten Kontakte zu Kunden und Lieferanten?

Sie verliefen sehr positiv und liessen mich das grosse Renommee und Vertrauen spüren, das die Distillerie Studer bei seinen Kunden geniesst. Eine schöne Erfahrung und zugleich ein grosse Herausforderung.

Und welches ist dein persönliches Studer-Lieblingsprodukt?

Darf ich auch zwei nennen? Zum einen ist das der klare Williams. Unabhängig von jeder Modeerscheinung ist der einfach eine Instanz. Und zum anderen der Whisky, den wir gestern eingemaischt haben. Bevor der in seiner vollen Qualität rauskommt muss er aber noch einige Jahre ins Fass.