Die ganze Bande unter einem Dach

Die Grossfamilie stirbt aus? Mitnichten! Im altehrwürdigen Herrenhaus der Distillerie Studer wohnen derzeit vier Generationen zusammen. Dieses Leben unter einem Dach ist eine ziemliche Herausforderung; alles unter einen Hut zu bringen ein ganz besonderes Übungsstück.

Bei Studers in Escholzmatt hat das Leben in Gemeinschaft eine lange Tradition. Genauso wie das Schnapsbrennen. Was die vier Brüder Robert, Gottfried, Hans und Josef im Jahr 1883 begonnen haben, wird im und um das Anwesen nach alter Väter Sitte weitergeführt und zelebriert.

Emotionale Reibungsflächen

Mehrgenerationenhaushalte sind heutzutage seltene Wohnmodelle. Guckt man jedoch genauer hin, gewinnen sie dort, wo es Platz hat, also vornehmlich in ländlichen Gebieten, wieder an Bedeutung. Manchmal aus Kostenüberlegungen, aus praktischen Gründen oder eben, wie hier, weil es immer so war. Und gut gewesen ist. Was nicht heisst, dass immerzu alles konfliktfrei über die Bühne ging oder geht. Denn dort, wo verschiedene Generationen unter demselben Dach wohnen und zugleich denselben Betrieb führen, entstehen zwangsläufig emotionale Reibungsflächen.

Anno dazumal war die Unterordnung in einer Grossfamilie normal. Man kannte es nicht anders und das Zurückstecken der eigenen Bedürfnisse zum Wohl der Familie war eine Selbstverständlichkeit. Selbst wenn dieser Verzicht zuweilen schmerzte. Heutzutage hat der Mensch ganz andere Möglichkeiten. Zudem ist er freier und unabhängiger geworden – was wiederum das Verlangen, seine Bedürfnisse durchzusetzen, erklärt. Was andererseits bedeutet, dass die Erwartungen des Einzelnen an die Gemeinschaft grösser geworden sind. Ein Stück weit also eine ziemliche Krux. Unlösbar aber nicht.

Unbezahlbar, wenn die ganze Bande am Tisch sitzt

Das Zusammenleben von zig Menschen unter einem Dach verlange, mehr denn je, eine grosse Anpassungsbereitschaft und eine hohe soziale Kompetenz von jedem Einzelnen, sagt mir Familienoberhaupt Ivano Friedli, der das Unternehmen derzeit leitet. Und selbst – ebenfalls Friedlis O-Ton – wenn jeder die einzelnen Stockwerke und Wohnungen respektiere, im Alltag, im privaten genauso wie im geschäftlichen, sei man trotzdem eng miteinander verflochten. Andererseits sei es ein Geschenk, wenn die Urgrossmutter am Heranwachsen ihrer Urenkel so nah dran sein könne. Und unbezahlbar, wenn die ganze Bande am Tisch sitze, miteinander das Zmittag oder Znacht einnehme, sich gegenseitig vom Tag berichte, Anliegen vortrage und Sorgen oder Freuden mitteile.

«Ein Stück weit also eine ziemliche Krux. Unlösbar aber nicht»

Friedli erwähnt auch andere Vorteile des Zusammenlebens mehrerer Generationen unter einem Dach. Den Umstand beispielsweise, dass einem ein solches Anwesen einiges abverlange, was aus eigener Kraft gar nicht zu bewerkstelligen sei. Da gäbe es jahrein, jahraus viel zu tun. Hier eine Verschönerung, dort eine Sanierung und, von Frühling bis Herbst, immer wieder etwas Gartenarbeit. Hinzu kommen, je nach Situation, Kindererziehung, allgemeine Umgebungsarbeiten, gegenseitiges Unterstützen bei Krankheiten sowie, in dringenden Fällen, Hilfeleistungen bei der Arbeit. Auch die Tatsache, dass die ältere Generation von sozialen Kontakten profitiere, die Jungen hingegen vom Vertrauen und der Verlässlichkeit der Senioren, spricht Friedli freiheraus an.

Postskriptum

Generationenübergreifend zusammenzuleben, das zeigt dieses Beispiel, ist ein attraktives Model und vieles spricht dafür. Allerdings müssen sich alle über die Bedürfnisse und Vorstellungen der andern Beteiligten im Klaren sein. Hier, in diesem Haus, wo Familie, Produktion, Vertrieb und der Laden nebeneinander funktionieren müssen, braucht es klare Regeln. Konventionen, die allesamt, besonders in schwierigen Zeiten, eingehalten werden und in guten Zeiten abgemacht werden sollten. Dann sind sie wirkungsvoller. Das war schon immer so, und ginge es nach dem Patron, so soll das auch künftig so bleiben. Was gut funktioniert, muss schliesslich nicht geändert werden.