Interview mit Hans Georg Hildebrandt
Gents Swiss Roots Tonic Water wurde 2012 vom Zürcher Startup Gents GmbH kreiert und auf den Markt gebracht. Gründer Hans Georg Hildebrandt war davor als Chefredaktor der Designzeitschriften „Das Ideale Heim“ und „Atrium“ und Journalist bei der Zürcher „SonntagsZeitung“ tätig. Als Kulinariker aus Leidenschaft basiert er seine Rezepturen auf seinem über die Jahre angesammelten Wissen um Kochkunst und Kräuterkunde. Deshalb folgten auf das 2012 ins Leben gerufene Tonic alljährlich neue Produkte, so das Bitter Lemon mi Mädesüss, das Ginger Ale aus zwei afrikanischen Ingwersorten oder das Ginger Brew mit Peru-Ingwer und Bierwürze. Nebenher wurden zwei Vermouths und ein Kaffeelikör entwickelt und ein Craft-Wodka aus Albulataler Bergkartoffeln lanciert. Der letzte Streich ist nun der Bongkirsch – entwickelt vom namhaften Schweizer Sensoriker und Foodjournalisten Patrick Zbinden.
Grüsse, HG. Schön, dass Du Zeit für dieses Interview findest!
Wir illustrierten Deinen Hintergrund bereits in unserer Einführung. Spannend ist aber nichtsdestotrotz für uns: wieso hängt ein erfolgreicher Autor und Journalist die Karriere an den Nagel für – mit Verlaub – Limonade?
Nach vielen Jahren im Journalismus, wo man aus Zeitgründen in vielen Fällen nur an der Oberfläche kratzen kann, wollte ich mich mal wieder in ein Thema richtig vertiefen. Es kam hinzu, dass sich die Situation im Mediengeschäft von Jahr zu Jahr verschlechterte und ich für meinen damaligen Posten als Chefredakteur eine Special-Interest-Blattes keine grosse Zukunft sah. Heute sagen Kollegen von früher zu mir: „Du hast den Ausstieg geschafft“, als wäre die Medienwelt sowas wie eine Drogenszene … aber tatsächlich habe ich noch über Jahre hinweg für kulinarische Projekte geschrieben, so für das damals neu lancierte Magazin des Sternekochs Andreas Caminada.
Mit desem frühen Exit aus der „Drogenszene“ und der Wahl des Tonics warst Du ja gleich ganz am Anfang der Tonicwelle mit dabei. Ein Meinungsbilder also!
Tatsächlich begann meine Geschichte mit einer Reportage über Hendrick’s Gin, die ich wohl etwa im Jahr 2003 verfasste. Das Produkt war damals noch fast neu, aber wir diskutierten in der von mir geliebten Zürcher Kronenhalle-Bar stundenlang darüber. Schliesslich reiste ich nach Schottland und durfte bei William Grant & Sons die zwei Hendrick’s-Destillen besichtigen, geführt von der legendären Master Distillerin Lesley Gracie persönlich! Anschliessend kam schon bald Monkey 47 auf den Markt, Fever Tree und Fentiman’s wurden ein Thema – und weil ich auf meinen kulinarischen Reportagen bemerkt hatte, dass regionale Produkte ein riesiger Trend sind, war ein Schweizer Tonic irgendwann die naheliegende Idee. Effektiv auf den Tisch kam sie beim Aufräumen nach dem vierzigsten Geburtstag meiner Gemahlin, einer rauschenden Gin-and-Tonic-Party.
Ein gebührlicher Urknall zum Einstieg in die Welt der Getränke und Spirituosen! Jetzt, da Tonic (und die mit ihm gemixten Drinks) wortwörtlich in aller Munde sind: wie sieht Dein Arbeitsalltag aus? Bist Du nur noch am produzieren? Oder kannst Du tatsächlich auch rausgehen und Deine Kunden auf einen Drink besuchen?
Oh je, ich bin viel zu oft im Büro für meinen Geschmack. Natürlich gehe ich oft raus und geniesse die lebendige Zürcher Barszene (besonders jetzt zu diesen schwierigen Zeiten). Aber der Zeitrahmen für sinnvolle Barbesuche ist eng. Also erledige ich meine Planungsarbeiten und administriere, ab und zu gibt’s Entwicklungsarbeit zu tun. Am liebsten ist mir die Handarbeit beim Produzieren von Vermouth und Kaffeelikör.
Ah ja, richtig, Deine Palette verbreiterte sich ja schon über Tonic hinaus. Sowohl Wermut, als auch Kaffee passen ja gut zu Tonic. Fiel daher die Wahl auf diese doch speziellen Produkte?
Ja, eigentlich ist meine ganze Arbeit von der Spitzenkulinarik inspiriert, wo man sich im Rahmen des Pairings von Produkten und Getränken für botanische Verwandtschaften und chemische Paralellen im molekularen Aufbau interessiert. Und Bitterstoffe bieten da besonders spannende Fährten, denen man folgen kann. Wermut ist ja wie Chinin ursprünglich als Heilmittel bekannt geworden.
Schwenken wir doch einmal genauer auf Tonic ein. Du erklärtest, wie Du zum Tonic kamst. Doch was genau ist dieses bittere Sprudelwasser eigentlich?
Ganz banal gesagt, ist es eine bittere Zitronenlimonade. Die Bitternote stammt von Chinin, einem Auszug aus der Rinde eines Baumes namens Cinchona pubescens. Die Kunst ist es, einen Zitrusgeschmack hinzukriegen, der sich mit den Bitternoten gut verträgt und der den modernen Gins die nötige „Luft zum Atmen“ gibt, also sich entfalten lässt. Ich habe Monkey 47 schon erwähnt – es war mein Ziel, ein zurückhaltendes, neutrales Gourmet-Tonic zu entwickeln, das dank schöner Karbonisierung und spannenden Bitternoten den Aromenfächer von Monkey zum Tragen bringt.
Und gibt es eine Geschichte dahinter, eine Historie?
Die Chinarinde wurde namentlich von den Kolonial-Streitkräften des Vereinigten Königreiches zur Malariaprophylaxe eingenommen. Alkohol gehört eh schon immer zum Soldatenleben, und Zitrusnoten dienten als erfrischender Kontrapunkt zur bitteren Medizin. Tatsächlich wurden britische Matrosen, Soldaten und Offiziere Jahrhundertelang teils in Alkohol bezahlt! Und so verbreitete sich die Verbindung der damals noch unsäglich bitteren Chinin-Tinktur mit Gin in Windeseile (im wahrsten Sinne des Wortes) überall dort, wo das Empire seine Fühler ausgestreckt hatte. Als James Lind dann noch die anti-skorbutische Wirkung von Zitronen entdeckte, wanderten damals zuerst Zitronen in den „ur-Gin Tonic“. Die Prophylaxe wurde aber natürlich auch von Zivilisten verwendet. Der Chinarindenbaum, ursprünglich in den Anden beheimatet, wird heute im ganzen Tropengürtel gezogen. Ohne ihn wäre der koloniale Erfolg der Briten wohl nicht denkbar gewesen – Cinchona pubescens ist eine Plfanze, die die Welt verändert hat.
Oh! Also tatsächlich eine Brause mit viel Geschichte! Inwiefern passt dann Enzian in dieses ursprünglich Enzian-fremde Getränk?
Enzian hat eine leichte Lakritznote und Lakritz ist in vielen Gins, namentlich in Bomby Sapphire anzutreffen. Und Enzian wächst in den Alpen, es ist eine jahrhundertalte Tradition, ihn zu Schnaps zu verarbeiten. Es gibt also jede Menge Gründe. Enzian ins Spiel zu bringen. Besonders spannend – und vom kulinarischen Standpunkt gesehen sehr modern: Enzian gehört wie Cinchona pubescens – oder auch Kaffee – zur Ordnung der Krappgewächse (Rubiaceae) und sind damit botanisch verwandt.
Wie trinkst Du Tonics (ohne Gin oder Alkohol) am liebsten?
Mit Kaffee – denn eben: Es gibt da eine Verwandtschaft! Mein Extra Dry Tonic mit Lorbeer und Tamarinde hat nur die Hälfte des Zuckers, passt aber wegen der komplexen Würze besonders gut zum Essen.
Super, auch ich bin ein Fan! Trinkst du Tonic dann lieber mit Espresso oder Filterkaffee?
Bin grundsätzlich ein grosser Anhänger von Filterkaffee. Ich verwende dafür den „India Delight“ von Black & Blaze. Er hat eine schöne Caramelnote. Die fettighaltige Crema eines Espresso würde mich jetzt im Café Tonic eher stören.
Zurück vom avantgardistischen zum Allbekannten: Gin Tonic! Warum funktioniert diese Paarung so gut?
Eine ganz komplexe Sache, die meines Wissens mit der Harmonie von öligen Wacholder- und Zitrusauszügen zu tun hat. Ausserdem belebt die Kohlensäure die im Gin eingebundenen Aromate. Grundsätzlich ist ein guter Gin & Tonic wie eine gute Sauce: Er enthält herbe, frische und süssliche Noten, die Lust auf mehr machen. Ausserdem machen es sich vielleicht nicht alle Leute bewusst – aber G & T ist auch der perfekte Drink, weil er in jedem Genussmoment Freude macht. Also sowohl orthonasal riechend vor dem ersten Schluck, dann im Mund mit einem herbzitrischen bis warm-pfefferscharfen Komplex (belebt durch die auf der Zunge platzenden Kohlensäureblasen) und retronasal beim Ausatmen, wenn die Riechzellen in der Nasenhöhle die intensivsten Noten nochmal wahrnehmen.
Und welche Gin-Stile bieten sich dafür an?
Das ist absolut persönliche Geschmackssache. Ich bevorzuge pfeffrig-zitrische Gins von zeitlos klassischer Machart. New Western Gins waren ein Trend, klassische Gins wird es immer geben.
Gibt es noch andere alkoholischen Getränke, welche gut zusammen mit Tonic schmecken?
Absolut: Weisser Portwein, trockener Sake, Vermouth de Gents BLANC oder unser Kaffeelikör Café de Gents.
Also auch noch Weine und verstärkte Weine. Ist Tonic ein sensorisches Multitalent?
Das kann man sicherlich so sagen. Zitrone passt zu fast allem, und Bitternoten bringen Spannung ins sensorische Spiel. Das hat wohl damit zu tun, dass sogennant „irritative“ Noten von einem Empfindungssystem wahrgenommen werden, das mit der Nase und der Zunge nur am Rand zu tun hat. Es handelt sich um den trigeminalen Nerv, der unser Gesicht mit dem Hirn verbindet. Deswegen verzieht man bei Bitter-Empfindung das Gesicht … die Sache ist noch nicht abschliessend erforscht, aber meine These ist halt, dass wir die Bitternote wie eine zusätzliche Empfindung und demnach als bereicherndes kulinarisches Element wahrnehmen.
Da ist ja nun schon wirklich viel drin. Danke für dieses Gespräch! Lass uns darauf am Ende doch noch anstossen. Vielleicht mit zwei Gin Tonics?
Aber sicher doch!
Was ist Deine Lieblingskombination, welchen Gin Tonic wollen wir uns zubereiten?
Ich habe seit 2012 zu vielen Marken emotionale Beziehungen aufgebaut und mit so manchen Brennern tolle Momente geniessen dürfen. Tanqueray 10 bleibt aber meine Benchmark für den internationalen Markt, kräftig, zitrisch, rein. Aus der Schweiz empfehle ich natürlich den klassischen Studer-Gin. Als Zürcher Lokalchauvinist muss ich aber auch an Turicum Gin denken. Ausserdem ist dessen Master Distiller ein Freund und kulinarischer Geistesverwandter. Ich würde deshalb nach unserem ersten Studer-Tonic noch einen zweiten GT mit Olivers Mansworld-Edition von 2019 ordern.